Unser Direktor informiert

  • Der Tiergarten züchtet bereits jetzt über 60 bedrohte Süßwasserfischarten, darunter drei Arten, die in der Wildbahn bereits ausgerottet sind.
1. Oktober 2024

Der Tiergarten Schönbrunn hat die Pläne für sein neues Artenschutz-Aquarium präsentiert. Warum dieses Projekt nicht nur ein Meilenstein in der Tiergarten-Geschichte, sondern auch in Sachen Artenschutz sein wird, erklärt Tiergartendirektor Dr. Stephan Hering-Hagenbeck Ihnen hier: 

Artenschutz in Zoos und in der Wildbahn

Der Schutz bedrohter Arten in ihrem natürlichen Lebensraum ist von zentraler Bedeutung. Deshalb engagiert sich der Tiergarten Schönbrunn für zahlreiche Arten: Die Nördliche Batagur Flussschildkröte, die wir in Bangladesch vor der Ausrottung bewahrt haben, oder der Waldrapp, dessen Wiederansiedlung wir von Beginn an unterstützen, sind nur zwei Beispiele dafür. Doch in Zeiten, in denen natürliche Lebensräume zunehmend zerstört werden, ist das nicht genug. Diese Ansicht teilt die Weltnaturschutzorganisation (IUCN) und unterstützt den sogenannten „One Plan Approach“, der die Entwicklung von Schutzstrategien für gefährdete Arten sowohl in der Wildbahn als auch in menschlicher Obhut umfasst. Schutzbemühungen in der Wildbahn (in-situ) und in Zoos (ex-situ) müssen Hand in Hand gehen. Davon ist die IUCN als größte Naturschutzorganisation, bei der der Tiergarten Schönbrunn seit 2021 Mitglied ist, überzeugt. 

Und warum das wichtig ist, zeigen viele Beispiele: Wenn man sich etwa die weltweiten Artenschutzbemühungen für Steinkorallenarten vor Augen führt, gibt es fast kein erfolgreicheres Artenschutzprojekt – und auch hier sind Zoos maßgeblich involviert. Bei Süßwasserfischen und Knorpelfischen geht die Tendenz in dieselbe Richtung. Der Aufbau von Reservepopulationen in zoologischen Einrichtungen wird immer wichtiger, um das langfristige Überleben bedrohter Arten zu sichern.

Wir sehen das neue Aquarium, für das wir ganz bewusst den Titel „Artenschutz-Aquarium Schönbrunn“ gewählt haben, daher nicht als Gegensatz zu Artenschutzbemühungen in der Wildbahn, sondern als dringend notwendigen Teil eines integrativen Ansatzes. Zoologische Gärten verfügen über eine einzigartige Expertise im Aufbau stabiler, genetisch gesunder Populationen, die als Reserve für zukünftige Auswilderungen dienen können, sobald geeignete Bedingungen in der Natur wiederhergestellt sind.

Des Weiteren sind wissenschaftlich geführte Tiergärten für diverse Artenschutzprojekte vor Ort wichtige Anlaufstellen, wenn es um die adäquate Haltung oder die medizinische Versorgung von konkreten Arten geht, etwa bei der Rehabilitation von Wildtieren.

Ich hatte vor einigen Jahren ein Schlüsselerlebnis, als ich zufällig an einem Fischmarkt auf der arabischen Halbinsel vorbeikam. Dort lagen hunderte von Haikadavern der seltensten Hochseehaie, die gefinnt wurden. Die verbliebenen Kadaver wurden im Anschluss von einem großen LKW entsorgt. Diese Tiere hatten quasi noch das „Glück“, nicht direkt auf See ihre Flossen zu verlieren und anschließend lebendig in der Wildbahn zu verrecken. Sie wissen genauso gut wie ich, dass dies nicht nur ein zufälliges grauenvolles Einzelerlebnis war, sondern dass dies tagtäglich und in unzähligen Hafenstädten dieser Welt passiert! Leider ist dies immer wieder die Realität und nicht eine idealisierte „freie Wildbahn“. Hier gilt es anzusetzen und aufzuklären. Wir tun dies durch unsere Botschaftertiere und lassen dies auch regelmäßig evaluieren.

(c) Dr. Stephan Hering-Hagenbeck

Exzellente Tierhaltung

Wir nehmen die Verantwortung für die Haltung unserer Tiere sehr ernst und arbeiten nach den neuesten wissenschaftlich belegbaren Standards. Die Planung des neuen Aquariums erfolgt in enger Zusammenarbeit mit internationalen Fachleuten und Institutionen. Allein in europäischen Aquarien werden derzeit regelmäßig über 30 Knorpelfischarten gezüchtet. Speziell ausgebildete und erfahrene Tierpflegerinnen und -pfleger und Veterinärinnen und Veterinäre bilden in vielen Aquarien die Basis für diesen Erfolg. Unzählige wissenschaftliche Projekte mit Meeresbiologinnen und -biologen und Artenschutzprojekte wie https://www.reshark.org/star-project belegen die Qualität und Sinnhaftigkeit unserer Bemühungen um diese Arten. Es ist allgemein bekannt, dass viele grundlegende Erkenntnisse zum Verhalten von Tieren aus der Grundlagenforschung in menschlicher Obhut stammen.

Bildung und Bewusstsein

Zoos übernehmen eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, das Bewusstsein der Öffentlichkeit für den Artenschutz zu schärfen. Zoos sind unersetzliche Bildungsorte. Millionen von Menschen, insbesondere Kinder und Jugendliche, lernen hier, die Bedeutung des Artenschutzes zu verstehen, und entwickeln eine emotionale Verbindung zu Tieren und ihren Lebensräumen. Diese Bildung und Aufklärung sind entscheidend für die langfristige Förderung des Artenschutzes. Die erschreckende Entwicklung gerade in den Sozialen Medien, wo Videos z.B. von verkleideten Affen viral gehen, beobachten wir allerdings mit großer Sorge. Hier wäre es wichtig, gemeinsam anzusetzen und aufzuklären. Zoos und Aquarien tragen durch direkte Forschung an Tieren wesentlich zum besseren Verständnis der ökologischen und biologischen Bedürfnisse bei, was wiederum den Schutz ihrer wildlebenden Artgenossen fördert. Man kann nicht alle notwendigen Parameter, die zum Schutz von Arten beitragen, in der Wildbahn erheben. Das haben Universitäten, die IUCN und zahlreiche NGOs schon lange erkannt und kommuniziert.

All diese wertvolle Artenschutzarbeit in zoologischen Gärten ist nur möglich und finanzierbar, weil wir Menschen mit unseren Botschaftertieren für den Schutz der Biodiversität begeistern und sie zum aktiven Handeln bewegen. Der Tiergarten Schönbrunn engagiert sich seit langem im In-situ- und Ex-situ-Artenschutz und den dafür notwendigen wissenschaftlichen Grundlagen. Rund zwei Millionen Besucherinnen und Besucher werden jährlich für dieses Thema sensibilisiert, von denen über 44.000 zusätzlich spezielle Führungen durch unsere Zooedukation buchen. Der Tiergarten Schönbrunn gehört zu den größten außerschulischen Lernorten für Tier- und Artenschutz im Lande.

Und nicht zuletzt wollen wir hervorheben, dass all die enorm wichtigen Artenschutzaktivitäten von zoologischen Gärten nur realisierbar sind, weil uns jährlich Millionen Menschen besuchen, die mit ihren Eintrittsgeldern und Spenden die Hauptfinanziers unserer Arbeit sind. Der Tiergarten Schönbrunn steht derzeit wirtschaftlich auf so stabilen Beinen, dass er in der Lage ist, nicht nur den laufenden Betrieb zu bestreiten, sondern auch wichtige Bauprojekte wie das neue Artenschutz-Aquarium aus eigener Kraft zu finanzieren und darüber hinaus Artenschutzprojekte auf der ganzen Welt langfristig und nachhaltig zu unterstützen. Diese wichtigen finanziellen Beiträge würden ohne das „Erfolgsmodell Zoo“ im weltweiten In-situ- und Ex-situ-Artenschutz schlicht und ergreifend fehlen. 

Zusammenfassend möchten wir betonen, dass der Tiergarten Schönbrunn sich dem Schutz bedrohter Arten in vollem Umfang verschrieben hat – in ihren natürlichen Lebensräumen, aber vor allem auch in zoologischen Einrichtungen. Unser neues Aquarium ist Teil einer umfassenden Strategie, die dem One Plan Approach folgt und auf internationale Zusammenarbeit setzt, um das Überleben bedrohter Arten langfristig zu sichern.